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In ganz seltenen Fällen erscheint eine Ausgabe der Wochenzeitung WOZ, für die ich als Fotograf und Bildredakteur arbeite, ohne ein Protestbild oder ein Foto einer Demonstration. Aber kann die Protestfotografie überhaupt als eigenes Genre betrachtet werden? Diese Frage habe ich mir anlässlich der Ausstellung "Lichtblick" im Bellevue - Ort für Fotografie in Basel gestellt und dabei auch meinen eigenen Umgang mit der Protestfotografie reflektiert.

Als Bildredakteur greife ich oft auf Fotos von Menschen mit Transparenten zurück, um politischen Widerstand zu visualisieren. Warum? Weil das Anliegen eines Artikels nicht direkt gezeigt werden kann. Zum Beispiel können unhaltbare Arbeitsbedingungen nicht fotografiert werden, aber die Proteste dagegen schon: Das Bild einer übernächtigten Arbeiterin in der Grossmetzgerei, wie sie sich gerade in den Finger schneidet, würde nur durch Zufall gelingen. Zudem wäre es unwahrscheinlich, dass der Betrieb ein solches Bild freigibt. Oder ein Artikel gegen Rechtsextremismus fotografiere ich relativ gefahrlos an der "Nazi-Frei"-Demo, anstatt ein kritisches Bild in der rechten Szene fotografieren zu wollen und ihnen dabei auch noch eine visuelle Plattform biete. Oder der Ruf nach Mitverantwortung für die globale Erderwärmung wird lebendiger illustriert mit einem Bild vom Klimastreik als mit einem Bild trockener Erde im Seeland. Das Protestbild scheint also oft die machbarste Fotografie, um einen Widerstand darzustellen.

Wenn ich selbst an einem Protest fotografiere, dann tue ich dies mehrheitlich (nicht ausschließlich) im Auftrag. Ich nehme in der Rolle als Fotograf zwar am Protest teil, gehöre aber gleichzeitig nicht zur demonstrierenden Masse. Laufe vor und zurück, suche nach einem prägnanten Bild. Ist dieses entstanden, oder flacht die Kundgebung ab, ziehe ich weiter. Meine Perspektive ist dabei nicht die einer aktiven Teilnehmerin. Es ist keine Innensicht: ich war nicht dabei als die Transparente gemalt wurden und übernachtete auch nicht im Protestcamp. Dort, wo ich dieses Muster durchbrochen habe, wie zum Beispiel am G20-Gipfel in Hamburg 2017, sind die entstandenen Bilder für mich bis heute von grösserer Bedeutung.

Eine fotografische Innensicht hat nicht den Anspruch, die möglichst vielseitige Nutzung einer Presseagentur abzudecken, sondern den Blick der Autorin, des Autors zuzulassen. Die Innensicht braucht Zeit und Nähe. Erst wenn ich als Fotograf vergessen gehe, können die abgebildeten Personen entweder nicht mehr auf die Kamera reagieren oder vor der Kamera nur noch sich selbst sein.

In der Ausstellung im Basler Bellevue ist eine Innensicht bei vielen Arbeiten zu sehen. Da sind die Bilder von Kurt Graf, Fotolib aus den siebziger Jahren: Ein Wuschelkopf hält den Lautsprecher eines Megaphons gegen ein altes Gemäuer gerichtet, die kleinen Fenster lassen auf ein Gefängnis vermuten. Der Mann blickt in die Ferne, während der Redner selbst dem Gemäuer zugewandt ist. Links am Bildrand zünden sich zwei Frauen ihre Zigaretten an, am rechten Bildrand blickt eine fünfte Person in die Kamera. Der Inhalt der Kundgebung ist nicht ersichtlich. Aber das Bild überzeugt und macht neugierig, weil die Blicke weiterführen und weil es bis an seine Ränder interessant bleibt, weil es einen Dialog aufbaut. Diesem und weiteren Schwarzweissbilder sind zeitgenössische Arbeiten diverser Fotograf:innen gegenüber gestellt. Wie zum Bespiel die Porträts von Azura
Silberschmidt. Sie hat geflüchtete Menschen, die in Griechenland gestrandet sind, porträtiert. Die direkten Blicke in die Kamera sind berührend. Silberschmidt verbrachte mehrere Wochen mit den Personen, bis sie sie fotografierte. Die Gesichter der Porträtierten sind jedoch nur in der Ausstellung zu sehen, auf der Webseite der Fotografin überdeckt sie die Gesichter mit weißen Feldern, um die Porträtierten zu schützen. Beide Arbeiten sind keine Bilder für die Tagespresse.

Die Protestfotografie aus den Siebzigern und von heute unterscheiden sich nicht in ihrer Intensität und Perspektive, sondern durch ihre Herangehensweise und ihre Funktion. Die Fotolib hatte den Anspruch, ich beziehe mich dabei auf die l'Agencé de Presse Libération, die als eigenständiger Fotodienst für die Tageszeitung Libération gegründet wurde, ein Bild soll in der Lage sein, eine Geschichte allein zu erzählen. Die heutige Protestfotografie hingegen orientiert sich vielmehr an formalen Konzepten. Und, in den Siebzigern funktionierten die Bilder als Beweis einer Gegenöffentlichkeit. Heute viel eher als Beweis einer Teilnahme am Protest.

Für mich stellt die Protestfotografie zweifellos ein eigenes Genre dar, das durch seine spezifischen Merkmale und Verwendungszwecke gekennzeichnet ist. Was ihr hierzulande fehlt, ist ein gemeinsames Archiv. In Polen existiert beispielsweise seit 2015 die Plattform A-P-P (Archive of Public Protest). Was sich dort ansammelt, ist enorm und hat eine erstaunliche Wucht. Die oft angeblitzten Demonstrierenden und der Blick für Ausschnitte, Objekte und Details erzeugen eine ganz eigene Bildsprache. Ich persönlich würde meine Bilder gerne auf einer solchen Plattform kostenlos veröffentlichen, was mich auch dazu motivieren würde, an mehr Kund- gebungen teilzunehmen und sie zu fotografieren. Die Bilder von Kurt Graf werden jedenfalls bereits aufgearbeitet. Lustigerweise übernimmt dies der Staat, der damals in den siebziger Jahren lieber Daten über Personen gesammelt hat, anstatt das wertvolle Bildmaterial der Bewegung zu archivieren. Warum nicht jetzt die Möglichkeit ergreifen und ein Archiv für Protestfotografie gründen, das der Protestfotografie eine permanente Sammlung bietet?

Eine Szene aus der Fantasie: An der Fassade eines Geschäftshauses hängt ein Fensterputzer, unter ihm eilt eine Geschäftsfrau vorbei, ihre Aktentasche hält sie sich als Schutz vor dem Putzwasser über den Kopf. Hinter einem der frisch gereinigten Fenster küssen sich zwei Männer in Massanzügen, Dampf steigt aus einem Schacht. Ein Schnappschuss, mehr nicht. Danach kehrt der Fotograf ins Studio zurück, entwickelt die Bilder, hängt sie auf oder postet sie direkt auf Flickr oder Instagram: Hashtag «streetphotography». Doch läuft das auch in der Wirklichkeit alles so zufällig ab? Und ist das beiläufige Fotografieren unbekannter Menschen im öffentlichen Raum überhaupt noch erlaubt?

Fragen, die auch die Ausstellung «Street. Life. Photography» über die letzten siebzig Jahre Strassenfotografie aufwirft, die aktuell im Fotomuseum Winterthur zu sehen ist. Eine Ordnung nach Themenfeldern – Strassenalltag, Unfälle, öffentlicher Verkehr, städtischer Raum, Linien und Zeichen, Anonymität, Entfremdung – schafft neue Nachbarschaften. Ausserhalb der Ausstellung animiert uns eine Fotorally, selbst die spielerische Seite der Strassenfotografie zu entdecken: Mittels einer App absolviert man fotografische Aufgaben, die sich auf Werke in der Ausstellung beziehen. An der Kasse werden Aufkleber mit Frauennamen verteilt, stellvertretend für all die fehlenden Fotografinnen sowie die namenlos abgebildeten oder nicht gezeigten Frauen.

Die Strasse als Bühne

Die Geschichte der Fotografie ist eng mit jener der Strassenfotografie verknüpft. Auch eine der ersten Fotografien überhaupt, die Pariser Daguerreotypie «Boulevard du Temple» von 1838, kann diesem Genre zugeordnet werden. Die Ausstellung «Street. Life. Photography» geht historisch nicht so weit zurück, sondern behandelt primär unser aktuelles Verständnis von öffentlichem und privatem Raum und unsere Beziehung zur sich wandelnden urbanen Umgebung. Da sind etwa die Bilder aus Taxis in Mumbai von Dougie Wallace: fröhlich, weitwinklig, farbig. Oder Michael Wolfs berühmte Porträts von müden Menschen in Tokios übervollen U- Bahnen. Auch sind mehrere Arbeiten zu sehen, wo die Strasse zur privaten Bühne wird, wie Maciej Dakowiczs Bilder aus dem Nachtleben von Cardiff. Fotografien, in denen die Strasse als politisches Forum genutzt wird, fehlen dafür fast gänzlich.

Oft ist es das Aufeinanderprallen von Gegensätzen – Wohlstand und Armut, Begegnung und Vereinsamung – in einem Bild, das die Strassenfotografie auszeichnet. Manchmal wird sie aber auch inszeniert, wie bei Mohamed Bourouissa, der Strassenszenen nachstellt, oder bei Ahn Jun, die ihre Füsse über den Strassen von New York oder Seoul baumeln lässt. «Die Strasse ist immer noch die Zone, die zu Recht als Ort angesehen wird, an dem die Dinge geschehen», schreibt der US-Kunsthistoriker Max Kozloff im «World Atlas of Street Photography» von 2014. Doch inwiefern die Bilder auch tatsächlich die Strasse repräsentieren, bleibt zu hinterfragen. Wer kann sich diese Leidenschaft und die dazu nötige Ausrüstung überhaupt leisten? Und warum ist es ein derart männlich geprägtes Feld? Für das Newsportal «Vox» hat die Fotografin Kainaz Amaria 2018 einen aufschlussreichen Text darüber verfasst, warum eine Branche, die zu über achtzig Prozent von Männern dominiert ist, problematisch ist. Wenn der Fotograf in den dunkelsten Gassen fotografiert, ohne die gezeigten Personen um Erlaubnis zu bitten, agiert er als Macho. Auch im Onlinekurs zur Strassenfotografie, den die Fotoagentur Magnum anbietet, wird das Genre mehrheitlich von Männern erklärt: Bruce Gilden tigert in seinem kakifarbenen Gilet durch den Dschungel von New York und schiesst mit seinem Aufsteckblitz Menschen regelrecht ab. Man lernt: Wo du arbeitest, beeinflusst du, was du siehst und was du überhaupt fotografieren kannst. Es gilt, ein Gefühl für die Strasse zu entwickeln. Augenfällig wird auch, wie viel unbrauchbares Bildmaterial dabei generiert wird.

Es gibt unterschiedliche Strategien. Einige Fotografen erinnern an Cowboys, die für ihren Lebensunterhalt aus der Hüfte schiessen. Andere stellen sich mitten auf der Strasse auf, um Blicke zu provozieren oder – wie Lee Friedlander – mittels Schatten oder Spiegelungen selbst in den Bildern präsent zu sein. Es gibt FotografInnen, die in steter Bewegung sind wie eben ein Bruce Gilden. Oder solche wie Altmeister Henri Cartier-Bresson, die einen fixen Kamerastandort wählen und auf eine gute Szene hoffen wie ein Fischer auf das Anbeissen eines Fischs. Zahlreiche der in Winterthur ausgestellten Arbeiten führen die Vielfalt der gewählten Methoden anschaulich vor Augen.

Letztlich Verhandlungssache

Andere FotografInnen machen sich technische Eigenheiten zunutze: Vivian Maier blickt unauffällig von oben durch den Sucher; der Lomograf fotografiert beiläufig aus Schritthöhe; oder, noch moderner, die Handystickerin, die aus halber Vogelperspektive schiesst. Noch weiter ausgelotet wird das Genre von Doug Rickard, der mit Google Street View arbeitet, oder von Peter Funch, der aus der Montage unzähliger Aufnahmen eine neue Szene erzeugt.

Egal mit welcher Technik sie fotografiert werden: Das europäische Datenschutzgesetz gibt BürgerInnen das Recht, zu entscheiden, was mit ihren Daten geschehen darf. 2013 platzierte der Fotograf Espen Eichhöfer auf einer Stelltafel vor dem Berliner Ausstellungshaus C/O ein Strassenfoto von einer Frau in einem Kleid mit Schlangenmuster. Alle konnten das Bild betrachten, auch ohne die Ausstellung zu betreten. So entdeckte sich auch die abgebildete Frau – und empfand das Bild als Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts. Sie forderte eine Geldsumme und machte dabei das Recht am eigenen Bild geltend. Der Fotograf berief sich auf die Kunstfreiheit. Vor gut zwei Jahren gab das Bundesverfassungsgericht beiden recht: der Klägerin, weil das Foto durch die Positionierung im öffentlichen Raum deutlich mehr Leute erreichte als in einem Ausstellungsraum; dem Angeklagten, den man im Sinn der Kunstfreiheit zu keiner Honorarzahlung verpflichtete. Womit in Deutschland Strassenfotografie als Kunst gesetzlich anerkannt und die Position der FotografInnen gestärkt wurde. Doch Eichhöfer treibt die Frage weiter um, etwa als Mitkurator der Ausstellung «Das illegale Bild. Fotografie zwischen Bildverbot und Selbstzensur», die 2020 in Berlin gezeigt wurde. Die «taz» schrieb dazu treffend: «So wird die Debatte über Street Photography schnell zu einer Debatte über Macht und soziale Privilegien.» Die Frau im Schlangenmusterkleid habe sich in den «richtigen» Kreisen bewegt und genügend Geld für Anwaltskosten gehabt. Dagegen würden «der abgerissene Mann mit den Glubschaugen oder der türkische Rentner, die auf anderen Bildern Eichhöfers zu sehen sind», womöglich gar nie erfahren, dass der Fotograf sie als typische Repräsentanten für die Gegend rund um den Bahnhof Zoo ausgestellt hatte.

In der Schweiz stimmte der Nationalrat 2019 dem Lichtbildschutz zu. Dieser stärkt die Position der FotografInnen. Das Recht am eigenen Bild hat aber Vorrang: «Unabhängig von urheberrechtlichen Überlegungen besteht bei Fotos das Recht am eigenen Bild. (...) Aus diesem Grund dürfen Fotos meist nur dann veröffentlicht werden, wenn die darauf Abgebildeten ihr Einverständnis gegeben haben», schreibt der Datenschutzbeauftragte. Und weiter: «Werden Fotos im öffentlichen Raum aufgenommen, ist dies für alle Anwesenden erkennbar und sind die Abgebildeten nur ‹Beiwerk› (...), so ist es ausreichend, wenn das Bild auf Verlangen der fotografierten Personen (...) gelöscht bzw. auf eine Veröffentlichung verzichtet wird. Die betroffenen Personen müssen jedoch nicht zusätzlich angesprochen und informiert werden.» Das schafft einen Interpretationsspielraum. Oder wie es in der Fotorally-App heisst: «Es ist letztlich immer Verhandlungssache und ein gewagtes Unterfangen, erst recht als Hobby-Fotograf_in.» Neben den rechtlichen Fragen bleibt die Haltung hinter der Kamera entscheidend.

Die Fototasche für den Sommerurlaub ist gepackt. Die Speicherkarten sind formatiert oder die Filme gekauft, die Akkus geladen und die Linsen gereinigt. Doch wo und was darf auf den Reisen durch die Welt überhaupt fotografiert werden? Eine gute Frage, denn das Fotografieren im öffentlichen Raum kann ganz schön kompliziert sein: zwei Meldungen zu Persönlichkeitsrecht und Urheberrecht.

Am Erscheinungstag dieser WOZ entscheidet das Europaparlament über eine Einschränkung der Panoramafreiheit. Bei einer Annahme dürften in den europäischen Ländern künftig nur noch mit Einwilligung der UrheberInnen urheberrechtlich geschützte Gebäude oder Kunstwerke fotografiert und die Bilder kommerziell genutzt werden. Das Hochladen von Fotos zeitgenössischer Architektur auf Plattformen wie Facebook oder Instagram wäre also ohne Einwilligung des Künstlers oder der Architektin nicht mehr erlaubt. Da sich solche Plattformen in ihren Geschäftsbedingungen die kommerziellen Nutzungsrechte jedweder Fotos und Videos von den UserInnen garantieren lassen, könnten sie ohne Risiko davon profitieren; haftbar wären allerdings die UserInnen.

Dass die Verschärfung der Panoramafreiheit beschlossen wird, erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwar eher unwahrscheinlich. Doch allein die Idee, das Bild des öffentlichen Raums einzuschränken, ist zerstörerisch. Für FotografInnen oder Filmschaffende muss eine eigenständige Wahrnehmung dieses Raums weiterhin möglich sein – auch weil dieser Raum und die Leute, die ihn bevölkern, ohnehin mit Überwachungskameras ständig nichtöffentlich festgehalten werden.

Natürlich könnte auch niemand Bilderschwemmen auf den «Sozialen Medien» auf Verstösse überprüfen, am wenigsten die UrheberInnen von Bau- oder Kunstwerken selber. Statt nun zum Beispiel in Städten und auf Plät- zen eigene Fotozonen zu markieren – ähnlich wie Raucherzonen auf Bahnhofperrons –, um ein möglichst schönes, rechtlich einwandfreies und kontrolliertes Bild der Öffentlichkeit herzustellen, sollte die infrage gestellte Panorama- freiheit besser auf alle Länder ausgeweitet werden. In Frankreich etwa wurde sie bereits eingeschränkt. Wer aber in der Schweiz Urlaub macht, kann jetzt noch unbesorgt seine Liebs- ten vor allen kulturellen Denkmälern ablichten.

Gegen die Einschränkung der Panoramafreiheit in Europa wehrt sich gegenwärtig der Reisefotograf Nico Trinkaus mit einer Onlinepetition. Auch bei einer Ablehnung am 9. Juli wird die Sache nicht ausgestanden sein, im Herbst soll ein neuer Vorstoss folgen. Und noch eine Angst bewegt FotografInnen im öffentlichen Raum: jene vor dem Ende der Strassenfotografie, wie wir sie etwa von Henri Cartier-Bresson kennen. Der deutsche Fo- tograf Espen Eichhöfer zeigte an einer Ausstellung eine Strassenszene mit einer unbekannten Frau im Leopardenfellmantel. Diese verklagte ihn, sah ihr Persönlichkeitsrecht verletzt und verlangte Schmerzensgeld. In erster Instanz befand das Landgericht Berlin ein Schmerzensgeld für unbegründet, doch das Persönlichkeitsrecht sei verletzt, und so musste Eichhöfers Galerie die Prozesskosten tragen. Das Berliner Kammergericht hat vor gut zwei Wochen dieses Urteil bestätigt. Eichhöfer zieht den Rekurs weiter vor das Bundesverfassungsgericht, um «ein Grundsatzurteil zu erstreiten, damit die unsichere Rechtslage für alle Künstler eine Eindeutigkeit bekommt». Zur Finanzierung der Kosten hat er ein Crowdfunding-Projekt lanciert.

Vor beinahe zwanzig Jahren gründeten im Raum Zürich fünf Fotografen, eine Fotografin und zwei Agentinnen die Fotoagentur «Lookat». Anfangs März 2009 verschwand nun auch die noch die zuletzt aufrechterhaltene Onlinedatenbank. Ein mangelnder Markt war nicht dafür verantwortlich. Trotzdem würde es gut tun, mehr Bildergeschichten zu sehen.

Die Gründer/Innen fühlten sich der Reportagefotografie verpflichtet. Eingemeinsames Archiv, ein gemeinsames Labor und Büro sollte den damaligen Schweizer Reportagefotografen/innen ein neues zuhause geben. Man zahlte 30% der erarbeiteten Honorare in die Agenturkasse, dafür erfolgten Aufträge im In- und Ausland. Während zeitweise über ein duzend Fotografen/Innen sich globalen politischen und sozialen Themen annahmen und versuchten, die Welt so gut wie möglich authentisch abzulichten, wurde im Büro archiviert, verkauft und akquiriert. Die hohe Qualität der einzelnen Arbeiten liessen die Agentur schnell international bekannt werden. Viele alte Arbeiten bewegen heut noch, etwa die von Manuel Bauer entstandene Reportage über die Flucht eines damals 6-jährigen Mädchen vom Tibet über die Berge des Himalayas ins Exil. Doch leider musste die Genossenschaft «Lookat» 2004 wegen unsinniger Mehrwertsteuerforderung den Konkurs anmelden. Wohl zuviel Energie war bereits investiert, dass dieser Schlag überlebt werden konnte. Die danach aufgebaute Online-Bilddatenbank, versuchte zwar den Namen «Lookat» nicht aussterben zu lassen, aber für den Bildredaktor fehlte ein Kopf, eine Ansprechperson dahinter. Dazu kamen inhaltliche Diskrepanzen. Einzelne Fotografen stellten vermehrt ihre rein kommerzielle Arbeiten online und nutzen den Internetauftritt mehr und mehr als persönliches Portfolio. «Lookat» ist verschwunden. Andere Schweizer Reporatge-Agenturen leben aber weiter: DisVoir, Remote, Rezo, Pixil oder Strates und neue werden dazukommen.

Schön wäre, wenn sich auch mal wieder neue Publikationsmöglichkeiten ergeben. Denn hierzulande ist die klassische Bildberichterstattung kein Alltagsgegenstand mehr und verschwindet in den Museum und aufwändigen Bildbänder. Gefässe wie zum Beispiel die ursprünglich noch wöchentlich erscheinende Rubrik «Zeitbilder» in der NZZ gibt es nur monatlich, das Magazin des Tagesanzeiger versuchts mit ein bisschen lifestyle oder wildzusammengewürfelten Bildserien und der Schweizer Zeitschriftenmarkt hat bekanntlich generell abgenommen. Vielleicht macht ja die WoZ demnächst mal einen Anfang und schafft einen Platz für Bildergeschichten. Man besinne sich darauf, wie wir freudig als Kind schon früh das Lesen von Geschichten in einzelnen Bildern lernten. Eine Tätigkeit, der man sicher immer wieder gerne widmet. Und auch der Wunsch nach Geschichten, die Erzählen, wie es dort ist, wo wir nicht sind, der bleibt. Die Bilder der ehemaligen Lookatfotografen erfüllen dies. Zum Glück sind sie teils online auffindbar. Dort sieht man dann fliegende Frauen in Theran, Fotografen als Elvis Presley oder das Leben der Tuwiner. Und die Dokumentarfotografie wird sich bestimmt auch weiterentwickelt. Der Kamerahersteller Canon hat vor kurzem ihr neustes Produkt auf den Markt gebracht, das neben dem Fotografieren auch gleichzeitig das Filmen erlaubt: 30 Bilder pro Sekunde in höchster Auflösung. Vielleicht erzählen uns die Fotografen der nächsten Generation ihre Geschichten nur noch mit einem Bild, welches beim anklicken einen ganzen Film dazu abspielen wird oder der Videostill verdrängt das schöne Klicken einer Kamera. Wir werden sehen.